Peru, Teil eins

Die Farbe der Saison ist Grau

Inkapyramiden, Lamas, Macchu Picchu, Die Linien von Nazca, die Hauptstadt Lima…

Kurz vor der Grenze nach Peru, mal wieder ein Camp irgendwo im Nirgendwo

Wir waren voller Erwartungen, als wir zusammen mit José, einem Kolumbianer, den wir von Baños aus mit nach Lima nahmen, die Grenze überquerten. Bekanntermaßen bilden jedoch hohe Erwartungen einen idealen Nährboden für tiefe Enttäuschung und so wurde die erste Woche im Land der Inkas zu einer echten Gedulds- und Nervenprobe. Es begann bereits an der Grenze. Wir hatten uns inzwischen dazu entschlossen, noch einmal für ein halbes Jahr nach Europa zurück zu kehren, teils aus Sehnsucht nach Freunden und Familie, teils um anschließend für den Rest unserer Südamerika-Tour und den langen Segeltörn in die Heimat finanziell gerüstet zu sein. Dafür war es notwendig, unseren Jeep für die Zeit sicher unterzustellen und da es bis zu unserem Flug nur noch vier Wochen waren, sollte dies auf jeden Fall in Peru geschehen. „No es possible!“- „Das ist nicht möglich!“ war die Antwort des Zöllners, als wir ihn nach einer Erweiterung der obligatorischen neunzig Tage Aufenthalt für das Auto fragten. Glücklicherweise war an dem kleinen Grenzübergang jedoch wenig Verkehr und wir hatten genug Zeit, ihm unsere Pläne zu erklären. So nach und nach fiel ihm dann doch ein, wie wir das Problem lösen konnten und nach einer halben Stunde waren wir ausgerüstet mit den Namen diverser Zöllner in Lima und Cuzco, seiner der Privatnummer, falls es noch Probleme gibt sowie einer Anleitung, wie und unter welchen Vorausetzungen und Vorwänden wir das Auto für eine längere Zeit im Land lassen könnten. Geschafft! Der berüchtigte Peruanische Zoll war überwunden und wir waren auf dem Weg nach Lima, wo wir uns mit Christina und Magnus treffen würden, einem befreundeten Deutsch-norwegischen Paar, das für vier Wochen mit uns durch Peru reisen würde.

Meist ging es geradeaus
Meist ging es geradeaus

Der Weg nach Lima führte durch die Wüste, für uns beide eine völlig neue und aufregende Erfahrung. So weit das Auge reichte, Sand und Geröll. Abschnittweise auch mal kleine schroffe Berge aber meist zog sich die Straße bis zum Horizont schnurgrade durch eine weite Sandebene. Ein paar mal fuhren wir zum Spaß einfach von der Straße runter in die Wüste, jedoch immer darauf bedacht, die Straße nicht aus den Augen zu verlieren. Mit der Sonne im Zenit und ohne Wind als Richtungszeiger wird einem schnell bewusst, wie leicht es sein muss, sich hier zu verirren. 

Wenn es zu langweilig wurde, konnte man schön im Sand spielen
Wenn es zu langweilig wurde, konnte man schön im Sand spielen

Unsere Hochstimmung über diese völlig neue Erfahrung verebbte schlagartig in der ersten Polizeikontrolle. Schönes Auto, Papiere und Versicherung alles in Ordnung, aha, wir seien aus Deutschland und Norwegen… Wir wiegten uns schon in Sicherheit, als der Polizeibeamte beiläufig bemerkte, dass wir ja aber ohne Licht unterwegs seien. Dabei steckte er schon mal Pauls Führerschein ein. Das Bußgeld seien 500 Soles, umgerechnet um die 140 Euro, die wir in der nächsten Stadt bezahlen könnten, um dann mit der Quittung hier den Führerschein wieder auszulösen. Es folgte ein Dialog, der für den Rest der Reise durch den Norden Perus typisch werden sollte:

Paul: „Haben wir denn nicht die Möglichkeit, dass irgendwie einfacher zu lösen? Wir haben es wirklich eilig und müssen vor dem Dunkelwerden noch einen sicheren Schlafplatz finden!“

Polizist: „Mmh, wieviel habt ihr denn dabei?“

Paul (kramt suchend in der Tür): „Ich habe hier noch zwanzig Dollar und (sucht in den Hosentaschen) noch ein paar Soles in bar. Mehr haben wir nicht, bezahlen meist mit Karte!“

Polizist: „Mmh. Schönes Auto! Wo wollt ihr denn hin?“

Es folgt ein kurzes belangloses Gespräch über unsere nächsten Reiseziele. Dann nach einer Weile:

Polizist: „Und was machen wir nun?“

Paul: „Das ist alles, was wir mit haben.“

Polizist nickt, hält mir die Hand zum Abschied hin, Paul gibt ihm die Hand, darin die zwanzig Dollar. Polizist gibt ihm seinen Führerschein zurück und wünscht uns freundlich eine gute Weiterfahrt.

Dieses Gespräch führten wir so mit kleinen Abwandlungen ungefähr vier bis fünf Mal, was unserer Laune nicht guttat. Dazu kam, dass die zuerst aufregend neue Wüste nach zwei Tagen extrem langweilig wurde. Zu allem Überfluss hatte der Himmel sich mit einem grauen Dunst überzogen und immer wenn wir uns einer Stadt näherten, kündigte sich dies schon zwanzig bis dreißig Kilometer vorher dadurch an, dass der Wüstenboden mit Müll überzogen war. Die vorherrschende Farbe war grau. Himmel: grau, Wüste: grau, Städte: grau. Selbst der Pazifikstrand und das Meer waren grau.

Es war...grau!
Es war…grau!

Den Höhepunkt dieser deprimierenden Einöde bildete dann die Hauptstadt. Hätten wir nicht versprochen, unsere Freunde hier abzuholen, hätten wir Lima wahrscheinlich auf der Stelle wieder verlassen. Zu dem nun schon gewohnten Grau kamen hässliche Fassaden in der gleichen Farbe und ein so vollkommenes Verkehrschaos, dass wir froh waren, in einem zwei Tonnen schweren Stahlkoloss zu sitzen, der mit reichlich Hubraum und PS ausgestattet war. Aber es war ja nur für eine Nacht, dachten wir zumindest. Früh um sechs machte Paul sich am nächsten Morgen auf den Weg zum Flughafen und stand pünktlich in der Ankunftshalle. Wer nicht da war, waren die beiden. Nach einer Stunde mit warten und suchen erreichten wir sie endlich auf ihrem Handy. Sie gingen gerade schön in Madrid spazieren. Ihr Nachtflug in Verbindung mit der Zeitverschiebung sorgten dafür, dass wir uns um einen Tag vertan haben. 

Lima, Stadtverkehr
Lima, Stadtverkehr

Als sie dann am nächsten Morgen beim zweiten Versuch wirklich wohlbehalten da waren, waren auch sie nicht schwer davon zu überzeugen, Lima so schnell wie möglich zu verlassen. Wir nutzten den Rest des Tages für einen Ausflug an den städtischen Strand und eine Einkaufstour, um uns mit einem zweiten Zelt und allem zu versorgen, was wir brauchten, um für vier Wochen zu viert in einem Jeep zu leben und verließen Lima am nächsten Morgen.

Die Nazca-Linien, Mumien und das Andenhochland

 Nach drei Tagen, lustigen Abenden am Lagerfeuer und einem Kurs im „Peruanische Verkehrskontrollen gelassen und kostengünstig überstehen“ erreichten wir das Städtchen Nazca mitten in der Wüste. Sie ist der Namensgeber für eines der rätselhaftesten archäologischen Phänomene auf unserem Planeten: Den Nazca-Linien. Einzig aus der Luft erkennt man in den Wüstenboden gescharrte hunderte Meter große Tierfiguren und kilometerlange schnurgerade Linien, Pisten, Trapeze und Dreiecke. 

Was aussieht wie ein Flughafen ist mindestens 2000 Jahre alt.
Was aussieht wie ein Flughafen ist mindestens 2000 Jahre alt.

Bis heute herrscht in der Wissenschaft keine Einigkeit darüber, wer die Erbauer sind, wie alt die Figuren sind und zu welchem Zweck sie einst geschaffen wurden. Klar ist nur, dass sie mehrere tausend Jahre und damit älter als die Kultur der Inkas sein müssen und dass sie in unterschiedlichen Zeiten entstanden.

Der Kolibri
Der Kolibri

Auf einem fünfundvierzig minütigen Rundflug hatten auch wir die Möglichkeit, bei perfekten Wind- und Sichtverhältnissen einen Blick auf viele dieser misteriösen Figuren und Linien zu werfen. Viel kannten wir schon von Bildern aber die Figuren dann dort im Sand auftauchen zu sehen, wo sich vom Boden aus gesehen nur unspektakulärer steiniger Wüstenboden erstreckt, hinterließ einen bleibenden Eindruck. CIMG2126

Der Flug ging früh morgens und den Rest des Tages nutzten wir für eine Sehenswürdigkeit, deren Existenz vielen Besuchern Perus nicht einmal bekannt ist. Ungefähr zwanzig Kilometer südlich von Nazca befindet sich mitten in der Wüste ein gigantisches Gräberfeld, in dem schätzungsweise zweitausend Mumien aus der Zeit vor den Inkas begraben liegen. Heute befindet sich auf diesem Gebiet ein Freiluftmuseum, in dem ungefähr dreißig Gräber offengelegt wurden. In zwei Meter tiefen Gruben sitzen die sterblichen Überreste von Schamanen und anderen wichtigen Persönlichkeiten ihrer Zeit, aber auch ein kleines Tuchbündel mit der Mumie eines kleinen Kindes ist zu sehen. Zwar sind die Schädel nur noch Knochen, Haare und Kleidung sehen jedoch aus, als wären sie eben erst in die Gruben gelegt worden und hätten nicht schon mehrere tausend Jahre im Wüstensand begraben gelegen.

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Vor der Zeit des Museums war das Gräberfeld ein beliebtes Ziel von Grabräubern, die mit langen Stangen den Boden durchbohrten und bei Widerstand nach den verborgenen Schätzen gruben. Menschliche Überreste wurden dabei gedankenlos an der Oberfläche zurückgelassen, so dass heute die gesamte Umgebung mit menschlichen Knochen, darunter auch klar erkennbare Schädel-, Schenkel- und Beckenknochen, übersät ist.CIMG1958-DC

Während wir andächtig und fasziniert die Gräber bestaunten, geschah es: Paul beugte sich über eine der Gruben und seine Sonnenbrille, die er nur locker auf dem Kopf hatte, fiel hinein. Der erste Gedanke: Oh Gott, ist das peinlich! Der zweite Gedanke: Man stelle sich vor, in zweitausend Jahren gräbt wieder ein Archäologe diese Mumien aus und findet Pauls Sonnenbrille als Grabbeigabe, was wäre die Konklusion? Hier unsere Lieblingstheorie: Die europäische Hochkultur des einundzwanzigsten Jahrhunderts besaß eine Technologie, die Zeitreisen möglich machte und während einer intertemporalen Expedition zu einer Bestattungszeremonie in die peruanischen Wüste verlor einer der Forscher seine Brille! Anstatt jedoch der Nachwelt ein weiteres unlösbares Rätsel in der peruanischen Wüste zu hinterlassen, erzählten wir einem der Museumsführer von unserem Missgeschick, der mit einem freundlichen Grinsen und einer langen Stange die Brille wieder in unsere Zeit zurückholte.

Nun war es an der Zeit, uns so langsam in Richtung Cuzco zu bewegen. Cuzco liegt auf einer Höhe von über dreitausend Metern in den Anden und war die Hauptstadt und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt des Inkareiches. Heute ist es das Zentrum des Inkaturismus in Peru und der Ausgangspunkt von wahrscheinlich neunzig Prozent aller Macchu Picchu Besuche. Für die rund neunhundert Kilometer durch die Anden veranschlagten wir rund zwei Tage und da es schon Nachmittag war rechneten wir mit zwei Übernachtungen auf dem Weg. Nachdem wir uns drei Stunden lang über Serpentinen ins Gebirge geschraubt haben, sahen wir zur Begeisterung aller die ersten Lamas und Alpakas.

Alpakka Nummer 1, ein echtes Erlebnis
Alpakka Nummer 1, ein echtes Erlebnis

Noch war jedes der Tiere ein Grund zum Anhalten und Fotografieren, schließlich wussten wir noch nicht, dass wir später noch oft gezwungen sein würden, anzuhalten, da besagte Attraktionen es sich auf der Straße gemütlich machten und ein Auto nun wirklich kein Grund ist, seinen Mittagschlaf zu unterbrechen. 

Alpakka Nummer 2 - 80, nicht mehr so spannend...
Alpakka Nummer 2 – 80, nicht mehr so spannend…

Zu unserer Überraschung stießen wir dann noch auf Tiere, die wir gar nicht auf unserer Liste hatten. Vor einem Bus, der am Straßenrand parkte, standen gut dreißig Touristen bewaffnet mit Fernglas und Kameras und beobachteten einen kleinen See. Nach kurzem Überlegen kamen wir drauf: Flamingos! Die kannten wir bisher nur aus dem Zoo und hatten uns eigentlich noch nie so richtig Gedanken darüber gemacht, wo die eigentlich herkommen.

Flamingo!
Flamingo!

Nach einem langen Tag beschlossen wir bald, an einem kleinen See am Straßenrand unser Nachtlager aufzuschlagen. Wir mussten uns ohnehin einmal wieder waschen und eine kleine Steilwand gab uns und unseren Zelten Schutz vor dem kräftigen Wind. Die Sonne brannte vom Himmel und die Luft war angenehm warm, das Wasser jedoch war eisig. Im Nachhinein hätten wir daraus eigentlich Schlüsse auf die Nachttemperaturen ziehen können. Wir waren frisch gebadet, das Lager war aufgebaut und während wir mit Holzkohle und getrocknetem Lamadung (oder auch Alpakkakacke) ein Lagerfeuer entfachten, ging die Sonne unter und gleichzeitig fing die Temperatur an ins Bodenlose zu fallen.

Leider brennt Lamadung nicht so gut wie trockenes Holz
Leider brennt Lamadung nicht so gut wie trockenes Holz

Bereits beim Essen krochen wir dicht am Feuer zusammen und waren dankbar, dass Magnus noch eine Flasche Whiskey im Gepäck hatte. Im Zelt wurde es dann wirklich ungemütlich. Wir waren auf solche Temperaturen nicht vorbereiten und froren erbärmlich unter unseren dünnen Steppdecken. Als Paul nachts raus musste, stellte er dann fest, dass das Kondenswasser an der Zeltinnenwand gefroren war. 

Es war ein bisschen wie in der Gefriertruhe zu übernachten
Es war ein bisschen wie in der Gefriertruhe zu übernachten

An wirklichen Schlaf war dann nicht mehr zu denken. Die Füße wurden irgendwann taub und während wir ständig wach wurden, weil ein anderer Körperteilgerade nicht optimal zugedeckt war warteten wir darauf, dass es endlich hell werden würde. Als dann tatsächlich irgendwann die Sonne über den Horizont stieg, staunten wir nicht schlecht, als die Umgebung uns verriet, wie kalt es in der Nacht wirklich gewesen ist. Unsere selbstgebauten Bänke waren von Raureif überzogen, die Autoscheibe trug einen Eispanzer, dem mit dem Eiskratzer nicht einfach beizukommen war und sogar der See, in dem wir tags zuvor noch badeten, trug nun eine dünne Eisschicht.CIMG2185-PC Später sollten wir erfahren, dass wir in dieser nacht nicht auf den geschätzten zweitausend sondern auf über viertausend Metern Höhe kampiert hatten. Mit der Sonne stieg nun aber auch die Laune und mit einem heißen frisch gekochten Kaffee in der Hand sahen wir dabei zu, wie unser Lager langsam wieder auftaute. Dann hieß es: schnell packen und weiter. Mit der unverhofften Nacht in den Hochanden war unser nächstes Ziel plötzlich in greifbare Nähe gerückt: Cuzco und Machu Picchu, das Reich der Inka.P1060755

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