Vanuatu

Was ist eigentlich Vanuatu?

Vanuatu, früher die Neuen Hebriden, ist ungefähr so weit weg von Deutschland wie man auf diesem Planeten sein kann. Wir könnten in so ziemlich jede Richtung segeln und immer behaupten, wir seien auf dem Weg nach Hause. Dementsprechend ist es auch so verschieden von Deutschland, wie es nur sein kann. Vanuatu ist ein sehr junger Staat, der aus etwa einem Dutzend größeren und unzähligen kleinen Inseln im Südpazifik besteht. Die Hauptstadt Port Vila zählt gerade einmal 44.000 Einwohner, ist also in Deutschland gerade einmal eine mittlere Kleinstadt. Die Inseln sind mit Regenwald bewachsen, überall gibt es Bananen, Papaya und natürlich die allgegenwärtigen Kokosnüsse. Die Bevölkerungsstruktur gliedert sich hauptsächlich nach ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Inseln und auf den Inseln nach Stämmen. Wie überall auf der Welt gibt es auch hier Klischees und Vorurteile und so gelten die Frauen der Insel Ambae als sehr hübsch aber auch, sagen wir mal, offen im Umgang mit verheirateten Männern anderer Inseln. Die Menschen auf Malekula werden für ihre Hexenkünste skeptisch beäugt und dann gibt es da noch Tanna.

Man Tanna

Tanna ist die Insel der Krieger und bekannt für seine Aggressivität aber auch für seine Loyalität untereinander. Auf der Insel selbst, wo wir für ein dreiviertel Jahr unser Zu Hause gefunden haben, schien uns dies zunächst unbegreiflich. Wo wir auch hinkommen, werden wir neugierig mit Handschlag begrüßt, neugierig beäugt und zu unserer Herkunft befragt. Im Anschluss stehen wir dann meist mit einem Arm voller Bananen, Manjok (ein stärkehaltiges Wurzelgemüse), Papaya, Tomaten und auch sonst allem da, was die Gärten der Menschen hier zu bieten haben. Mit der Zeit haben wir dann aber gemerkt, das hinter jedem Gerücht ein Körnchen (wenn nicht gar ein Doppelkorn) Wahrheit steckt. Was uns zuerst auffiel war, dass Gewalt ein ziemlich akzeptiertes Mittel der Konfliktbewältigung zu sein scheint. Das Kinder in der Schule raufen kennt man ja von zu Hause. Ein bisschen merkwürdig kam uns allerdings vor, dass sie, wenn überhaupt, nur halbherzig ermahnt werden, das doch bleiben zu lassen. Die Krönung war eine handfeste Schlägerei zwischen zwei älteren Damen in Tannas Hauptstadt Lenakel. Worum es ging, konnten wir aus der Ferne leider nicht feststellen, jedoch hatte ein Sicherheitsbeamter alle Hände voll zu tun, die beiden auseinander zu halten und die Situation endete damit, dass die beiden sich auf offener Straße prügelten und die Leute darum herum klatschten und lachten wie auf dem Schulhof.

Wesentlich ernster war die Situation als bei einem Konflikt vor einigen Jahren vierzehn Männer der Insel Pentecost bei einem Konflikt ihr Leben verloren und der Rest in einer Kaserne Zuflucht suchen mussten. Ursache war die Bezichtigung eines Mädchens von Tanna, dass sie eine Hexe sei.

Auch bei einem kleineren Konflikt im Dorf erklärte mir unser Häuptling so ganz nebenbei: „Ah, da geht es um einen Landdisput. Der Häuptling aus dem Nachbardorf beansprucht das Stück Land dort. Der will alles hier haben und die Jungs haben ihn grad fast umgebracht. Das müssen wir nun diskutieren.“

Als wir einer Frau auf der Insel Santo erzählten, wir würden auf Tanna wohnen, sagte sie fröstelnd, dass sie Angst vor den Leuten auf Tanna hätte. Unser Häuptling fasste die Lage bei einer Schale Kava so zusammen: „Hier im Dorf und auf der Insel sind das großartige Leute. Nur wenn sie die Insel verlassen, dann werden sie bekloppt!“

Nakamal und Kava

Der Alkohol ist in Vanuatu relativ wenig verbreitet weil er zum einen sehr teuer ist und es zum anderen außerhalb der Städte kaum größere Läden gibt, wo man ihn kaufen könnte. Außerdem gibt es hier Kava, ein Getränk das so scheußlich schmeckt, dass sich selbst die Eingeborenen nach dem Genuss den Mund ausspülen. Getrunken wird es wegen seiner Wirkung. Es fühlt sich an, als würde das Bewusstsein einen Schritt hinter den Körper machen und man durch seine eigenen Augen wie durch Fenster in die Welt schauen. Dazu wird man sehr entspannt und schläft im Anschluss für zehn Stunden wie ein Stein. Traditionell trinkt man(n) Kava im Nakamal. Dies ist ein ritueller Dorfplatz ähnlich den Ting-Plätzen der Germanen und Wikinger. Hier ist der Ort, wo Politik gemacht und Entscheidungen getroffen werden. Jede Familie hat ihr eigenes Feuer auf einer großen Freifläche unter einem großen Banyan Baum. Jeder hat ein Rederecht und haben sich alle ausgesprochen und sind etwaige Konflikte beigelegt, ziehen die Mitglieder der einzelnen Familien sich an ihr Feuer zurück und es wird still auf dem Nakamal. Anders als beim Alkohol ist das Kavatrinken kein Akt lauter ausgelassener Freude sondern ein stilles Ritual, bei dem Gespräche im Flüsterton ablaufen. Man bekommt eine halbe Kokosnuss mit Kava, dreht sich mit dem Rücken zur Mitte des Platzes, trinkt alles auf einmal (das ist wichtig, macht es aber um so widerlicher) und spuckt dann einen Teil auf den Boden für die Ahnen. Dabei können laut Wünsche ausgerufen werden wie zum Beispiel eine gute Ernte für das nächste Jahr oder das die Tochter bald verheiratet wird.

Die Rolle der Frau auf dem Nakamal unterscheidet sich stark von Ort zu Ort. Auf Tanna konnten Frauen früher schon dafür hingerichtet werden, dass sie gesehen haben, wie die Männer Kava zubereiteten. Auf der Insel Santo hingegen werden Mann und Frau ähnlich wie Ying und Yang als zwei Seiten eines Ganzen gesehen und trinken so natürlicherweise gemeinsam Kava auf dem Nakamal.

Heute trinken die Menschen zumeist in Kavabars. Männer und Frauen gleichermaßen kaufen eine Plastikschale voll und trinken in gemütlicher Runde. Oft gibt es für wenig Geld Fingerfood dazu. Der rituelle Charakter des Kavatrinkens entfällt dabei leider weitgehend.

Eine Gemeinsamkeit mit dem Alkohol gibt es dann aber doch: Eine leichte Anfälligkeit für Männer, dem Trank zu verfallen und ihm einen Großteil ihrer Freizeit zu widmen. Die Frauen klagen dann gern darüber, dass die Männer nur Kava trinken und Haus und Familie vernachlässigen.

Bislama

…ist die Nationalsprache in Vanuatu und die lustigste Sprache, die wir bisher gehört und vor allem gelesen haben. Sie baut im Grunde auf dem Englischen auf und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie aus lokalen Sprachen und dem, was sich die Ureinwohner von den Englischen Worten der ersten weißen Siedler merken konnten, entstanden ist.

Ist etwas fertig repariert, so ist es «fix finis», Essen heißt «Kaekae», gesundes Essen ist «helti kae kae», jemanden schlagen «killem!», jemanden töten: «killem ded!».

Mal ein längerer Satz:

„Lass uns gehen, ich möchte aber vorher noch mein Essen aufessen!“

„Yumi ko be mi wontem kaekae kaekae blong mi fest taem!“ Oder auf english:

„You and me (Let‘s) go but I want to eat my food first(time)!“

P.S.: Laut lesen, dann fällt auf, wie dicht es am Englischen ist :-)

Kanibalismus

Wir saßen gemütlich bei Reis und Hühnchen unter einem großen Baum als Russel, unser Häuptlich uns feierlich eröffnete (frei aus einer Mischung aus Englisch und Bislama übersetzt): „Früher in den dunklen Zeiten haben wir uns gegenseitig gegessen!“

Wir wussten das, haben uns aber noch nicht getraut, das mit Einheimischen zur Sprache zu bringen. Vanuatu ist einer der vielen Inselstaaten im Pazifik, wo der Kanibalismus zur Kultur gehört. Auf Tanna wurden vor allem Opfer von kriegerischen Auseinandersetzungen mit verfeindeten Stämmen verspeist, in anderen Gegenden war es auch einfach eine Strafe für Vergehen wie zum Beispiel Ehebruch. Während unser Häuptling selbst keinen Bezug mehr dazu hat und in Tanna der Kanibalismus zu der finsteren Epoche gehört, bevor der weiße Mann mit der Bibel kam (dazu mehr in einem anderen Artikel!), gab uns die Lebensgefährtin eines befreundeten Seglers einen wesentlich persönlicheren Einblick. Ihr Onkel war dabei, als auf der Insel Malakula 1969 der letzte Mensch in Vanuatu gegessen wurde. Sie schilderte uns lebhaft, wie der Tote mit einem Spieß durch die Schulter in das Dorf geschleppt wurde, um im Anschluss gegrillt und verspeist zu werden.

Sollte der Leser sich fragen, ob nicht auch heute noch heimlich und inoffiziell den alten Sitten gefröhnt wird und Menschen in Backöfen oder großen Tontöpfen enden, so können wir nur sagen, dass uns so etwas nicht bekannt ist und wir nur offenen, sensiblen und freundlichen Menschen begegnen, denen viel mehr daran gelegen ist, uns zu füttern als uns zu verspeisen.